Der folgende Text basiert auf einem Vortrag, den der Berliner Architekturjournalist Matthias Grünzig am 23.04.2015 in der Fachhochschule Potsdam hielt. Der Autor stellt die historischen Gegebenheiten in all ihren Facetten dar. Seine intensive Recherche in staatlichen und kirchlichen Archiven räumt mit vorgefassten Denkschemata und Mythen auf. Dieser Beitrag ist das Ergebnis einer der bisher umfangreichsten Auseinandersetzungen mit der Garnisonkirchengeschichte zwischen ’45 und ’68.
- 1945-1949: Die Kirche entscheidet sich für den Wiederaufbau der Nikolaikirche
- 1949-1953: Der Bau der Heilig-Kreuz-Kapelle
- 1953-1963: Die Beschleunigung des Wiederaufbaus der Nikolaikirche zu Lasten der Garnisonkirche
- 1963-1966: Sicherungsmaßnahmen an der Garnisonkirche
- Die Kirchliche Reformbewegung ab 1960
- 1966-1968: Der Abriss der Garnisonkirche
- Der Aufschwung der Heilig-Kreuz-Gemeinde nach 1968
- Befahl Walter Ulbricht den Abriss der Garnisonkirche?
1945-1949: Die Kirche entscheidet sich für den Wiederaufbau der Nikolaikirche
Aufgrund der Kriegszerstörungen und der begrenzten Mittel musste die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg Prioritäten beim Wiederaufbau der zerstörten Kirchen setzen. Daher erarbeitete das Kirchliche Bauamt beim Evangelischen Konsistorium Berlin-Brandenburg ab 1947 Prioritätenlisten für den Wiederaufbau. Auf diesen Listen wurde dem Wiederaufbau der Potsdamer Nikolaikirche die oberste Priorität eingeräumt. Der Wiederaufbau der Garnisonkirche wurde dagegen nicht erwähnt.
Auf Basis dieser Prioritätenlisten erhielt die Nikolaikirche hohe Beihilfen des Evangelischen Konsistoriums Berlin-Brandenburg und des Hilfswerkes der Evangelischen Kirche, dank derer 1947 mit dem Wiederaufbau begonnen werden konnte. Die Garnisonkirche erhielt dagegen keine Beihilfen, daher fanden hier auch keine Baumaßnahmen statt.
Zudem gab es für die Garnisonkirche nach 1945 kaum Nutzungsmöglichkeiten. Die Militärgemeinde wurde mit der Kapitulation der Wehrmacht aufgelöst. Die Zivilgemeinde war auf 1100 Mitglieder geschrumpft und nicht mehr lebensfähig. Deshalb bemühte sie sich um eine Vereinigung mit der Nikolaigemeinde.
Daten:
- 19.6.1946: Gemeindekirchenrat der Zivilgemeinde der Garnisonkirche beschließt Vereinigung mit der Nikolaigemeinde
- 2.2.1948: Vereinbarung zwischen der Zivilgemeinde der Garnisonkirche und der Nikolaigemeinde über die Durchführung gemeinsamer Gottesdienste, Kindergottesdienste und Konfirmandenstunden im Gemeindehaus der Nikolaigemeinde Wilhelm-Staab-Straße
1949-1953: Der Bau der Heilig-Kreuz-Kapelle
Eine Veränderung der Situation der Garnisonkirche brachte Winfried Wendland (Anm. der Bürgerinitiative: Winfried Wendland war zur Nazizeit „Reichsreferent für Bildende Kunst der Deutschen Christen“ und „Referent für NS-Kunst“), der ab dem 1.1.1949 im Kirchlichen Bauamt beim Evangelischen Konsistorium Berlin-Brandenburg beschäftigt war. Winfried Wendland entwickelte ab Februar 1949 Konzepte für die Sicherung und den Wiederaufbau der Garnisonkirche. Wendlands Pläne sahen den Bau einer provisorischen Notkapelle im Turmstumpf der Garnisonkirche vor.
Gleichzeitig bemühte er sich um eine Finanzierung der Bauarbeiten. Eine Spende der Evangelischen Kirche des Rheinlandes von 12.600 Mark, die durch den Freund Wendlands Oberkonsistorialrat Oskar Söhngen vermittelt wurde, ermöglichte schließlich die Bauarbeiten.
Zudem wurden die Bemühungen um eine Vereinigung mit der Nikolaigemeinde abgebrochen. Stattdessen gab sich die Zivilgemeinde der Garnisonkirche den neuen Namen „Heilig-Kreuz-Gemeinde“.
Daten:
- 1949: Abbruch der Bemühungen um eine Vereinigung zwischen der Zivilgemeinde der Garnisonkirche und der Nikolaikirche
- 25.7.1949: Gemeindekirchenrat beschließt die Umbenennung der Zivilgemeinde der Garnisonkirche in Heilig-Kreuz-Gemeinde
- 13.9.1949: Gemeindekirchenrat beschließt den Bau der Notkapelle nach einem Entwurf von Winfried Wendland
- 1950: Bau der Heilig-Kreuz-Kapelle
- 18.6.1950: Einweihung der Heilig-Kreuz-Kapelle
- bis 1955: weitere Sicherungsmaßnahmen
1953-1963: Die Beschleunigung des Wiederaufbaus der Nikolaikirche zu Lasten der Garnisonkirche
Am 30.11.1953 fand eine Beratung zwischen Vertretern der DDR und der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg (u.a. Generalsuperintendent Walter Braun) statt, auf dem eine bevorzugte Förderung des Wiederaufbaus der Nikolaikirche vereinbart wurde. In den Folgejahren erhielt die Nikolaikirche hohe Fördersummen seitens der Kirche und des Staates, mit denen der Wiederaufbau vorangetrieben werden konnte. Die Garnisonkirche erhielt dagegen kaum Fördergelder. Daher mussten die Bauarbeiten 1955 eingestellt werden.
Daten:
- 1953-1963: Zahlung von Beihilfen der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, der Evangelischen Kirche in Deutschland, der Regierung der DDR und des Rates des Bezirkes Potsdam für die Nikolaikirche (Höhe der staatlichen Beihilfen 1947-1960: 668.600 Mark; Höhe der kirchlichen Beihilfen 1947-1960: 531.400 Mark)
- 1953-1963: kaum Beihilfen für die Sicherung der Garnisonkirche (Höhe der kirchlichen Beihilfen 1953-1963: 5000 Mark; keine staatlichen Beihilfen)
- November 1955: Sicherungsarbeiten an der Garnisonkirche müssen eingestellt werden
- 9.9.1962: Einweihung der wiederaufgebauten Kuppel der Nikolaikirche
1963-1966: Sicherungsmaßnahmen an der Garnisonkirche
Ab 1955 kam es zu einem zunehmenden Verfall der Ruine der Garnisonkirche. Lose Steine fielen herab, verwitterte Sandsteintrophäen stürzten auf den Gehweg und gefährdeten Fußgänger. Die Nutzbarkeit der Heilig-Kreuz-Kapelle wurde aufgrund eines undichten Daches und feuchter Wände immer mehr eingeschränkt. Deshalb ordnete der Generalkonservator der DDR, Ludwig Deiters, Sicherungsmaßnahmen an. Diese Arbeiten begannen 1965 und wurden durch das Institut für Denkmalpflege der DDR finanziert.
Daten:
- 6.5.1959: ein achtjähriges Kind wird durch herabfallende Steine von der Garnisonkirche verletzt
- 26.7.1963: Beratung zwischen dem Rat des Bezirkes Potsdam, dem Rat der Stadt Potsdam und dem Institut für Denkmalpflege der DDR über die Ruine der Garnisonkirche, Beschluss über Sicherungsmaßnahmen auf Initiative von Ludwig Deiters
- Dezember 1965: Beginn der Sicherungsmaßnahmen
Die Kirchliche Reformbewegung ab 1960
In den sechziger Jahren befand sich die Evangelische Kirche in der DDR in einer Krise. Sie verzeichnete rückläufige Mitgliederzahlen und finanzielle Probleme. Die Reaktion war die Entstehung einer kirchlichen Reformbewegung. Zentrale Forderungen waren eine Demokratisierung der Kirche, ein gleichberechtigtes Miteinander zwischen dem Pfarrer und den Gemeindemitgliedern, die Gleichberechtigung der Frau, eine Stärkung des Gemeindelebens und die Schaffung attraktiver weltlicher Angebote, wie Kultur- und Bildungsveranstaltungen, Diskussionen, Filmvorführungen, Sozialarbeit, Jugendtanz. Wichtige Protagonisten dieser Reformbewegung waren Günter Jacob (Generalsuperintendent in Cottbus und Bischofsverwalter für den Ostteil der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg 1963-1966) und der „Arbeitskreis für neue Formen des Gemeindeaufbaus“ der Evangelisch-lutherischen Kirche Sachsens.
Diese Reformpolitik hatte auch Auswirkungen auf die kirchliche Baupolitik. Einerseits erfolgte eine Abkehr vom Wiederaufbau zerstörter Großkirchen, da sie nicht den neuen Vorstellungen von einer demokratischen Kirche entsprachen und schlecht für weltliche Veranstaltungen nutzbar waren. 1963 wurde von der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg ein Stopp des Wiederaufbaus der Potsdamer Nikolaikirche beschlossen. Auf der anderen Seite erfolgte eine Hinwendung zum Neubau von Gemeindezentren mit kleineren, flexibel nutzbaren Veranstaltungsräumen und moderner Technik, die gut für weltliche Veranstaltungen nutzbar waren.
Daten:
1965-1966: Die Verhandlungen zwischen der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg und dem Rat des Bezirkes Potsdam über das kirchliche Bauen
Der Verzicht der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg auf den Wiederaufbau der Nikolaikirche und die Forderung nach dem Neubau von Gemeindezentren führte zu Konflikten mit den staatlichen Stellen der DDR. Der verantwortliche Rat des Bezirkes Potsdam forderte den Wiederaufbau der Nikolaikirche, gleichzeitig lehnte er den Neubau von Gemeindezentren ab. Dieser Konflikt führte zu Verhandlungen zwischen dem Rat des Bezirkes Potsdam und der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg, die von Februar 1965 bis Mitte 1966 stattfanden. Das Ergebnis war ein Kompromiss: Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg sagte den Wiederaufbau der Nikolaikirche zu. Zur Finanzierung wurde eine gesamtdeutsche Spendenaktion unter dem Titel „Potsdam – Stadt des kirchlichen Wiederaufbaus“ geplant. Der Rat des Bezirkes Potsdam stimmte im Gegenzug dem Neubau von ein bis zwei Gemeindezentren zu. Für den Wiederaufbau der Garnisonkirche wurden keine Gelder eingeplant.
Daten:
- 12.2.1965: Beginn der Verhandlungen
- Ergebnis (laut einem Schreiben des Vorsitzenden des Rates des Bezirkes Potsdam, Herbert Puchert, vom 11.6.1966 und einem Antwortschreiben des Generalsuperintendenten von Potsdam, Horst Lahr, vom 13.7.1966):
- die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg verpflichtet sich zum Wiederaufbau der Nikolaikirche
- der Rat des Bezirkes Potsdam sichert den Neubau von 1 bis 2 Gemeindezentren zu
weitere Gelder werden für Werterhaltungsmaßnahmen an vorhandenen Kirchen eingeplant - für Arbeiten an der Garnisonkirche werden keine Gelder eingeplant
- 12.8.1966: Beratung zwischen dem Rat des Bezirkes Potsdam, dem Rat der Stadt Potsdam und der Bezirksleitung der SED Potsdam: Grundsatzentscheidung über den Abriss der Ruine der Garnisonkirche
- 15.9.-21.9.1966: Abzug der Baukapazitäten von der Garnisonkirche, Abbruch der Sicherungsarbeiten
- 21.9.1966: Aufbau eines zweiten Sicherungszaunes um die Garnisonkirche
- 27.10.1966: Beschluss des Rates der Stadt Potsdam über die baupolizeiliche Sperrung der Heilig-Kreuz-Kapelle zum 1.11.1966
- 23.2.1967: Entscheidung der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg über die Verteilung der Werterhaltungsmittel für Potsdamer Kirchen, keine Berücksichtigung der Garnisonkirche
- 17.3.1967: die Diakonische Konferenz der Evangelischen Kirche in Deutschland beschließt die gesamtdeutsche Spendenaktion „Potsdam-Stadt des kirchlichen Wiederaufbaus“, Sammlung von Geld für die Nikolaikirche und für neue Gemeindezentren, keine Berücksichtigung der Garnisonkirche
- 13.5.-23.6.1968 Sprengung der Ruine der Garnisonkirche
- 31.7.1968: Entschädigungsverhandlungen zwischen dem Rat der Stadt Potsdam und der Heilig-Kreuz-Gemeinde, Ergebnis: Entschädigungssumme von 599.080 Mark
- März/April 1968: Der Rat der Stadt Potsdam und der Rat des Bezirkes Potsdam sichern der Gemeinde Baukapazitäten für den Umbau des Gemeindehauses Kiezstraße 10 zu
- 1969-1974: Umbau des Gemeindehauses Kiezstraße 10 zum „Heilig-Kreuz-Haus“ nach Entwürfen von Albert Gimsa, Baukosten: 250.582,28 Mark
1966-1968: Der Abriss der Garnisonkirche
Nach dem Verhandlungsergebnis begannen der Rat des Bezirkes Potsdam und die Bezirksleitung Potsdam der SED mit den Vorbereitungen zum Abriss der Garnisonkirche. Erste Maßnahmen waren der Abbruch der Sicherungsarbeiten und die baupolizeiliche Sperrung der Heilig-Kreuz-Kapelle. Im Mai und Juni 1968 fand der Abriss der Ruine der Garnisonkirche statt.
Die Kirche reagierte auf die Abrissbemühungen widersprüchlich. Die Evangelische Kirche Berlin-Brandenburg protestierte zwar gegen den Abriss. Auf der anderen Seite gab es keine Bemühungen der Landeskirche, Gelder oder Baukapazitäten für den Erhalt der Garnisonkirche zu beschaffen. Die Garnisonkirche wurde auch nicht in die Spendenaktion „Potsdam – Stadt des kirchlichen Wiederaufbaus einbezogen. Die Heilig-Kreuz-Gemeinde unter Leitung ihres Pfarrers Uwe Dittmer dagegen kämpfte vehement gegen den Abriss.
Daten:
Der Aufschwung der Heilig-Kreuz-Gemeinde nach 1968
Die Heilig-Kreuz-Gemeinde wurde für den Verlust der Ruine der Garnisonkirche mit rund 600.000 Mark entschädigt. Gleichzeitig stellte der Rat des Bezirkes Baukapazitäten für den Umbau des Gemeindehauses Kiezstraße 10 zu einem Gemeindezentrum zur Verfügung. Mit diesen Mitteln baute die Gemeinde das Gemeindezentrum „Heilig-Kreuz-Haus“ mit vielfältig nutzbaren Räumen und moderner Technik. Das „Heilig-Kreuz-Haus“ ermöglichte eine große Vielfalt an Veranstaltungen. Eine Vielzahl an Konzerten, Vorträgen, Diskussionsveranstaltungen und Filmvorführungen sorgten für einen Aufschwung des Gemeindelebens.
Daten:
Befahl Walter Ulbricht den Abriss der Garnisonkirche?
Walter Ulbricht besuchte am 22.6.1967 Potsdam. Zuerst informierte er sich im Gästehaus der SED-Bezirksleitung in Kleinmachnow über die Planungen für den Wiederaufbau der Potsdamer Innenstadt, später besuchte er eine Wahlkampfveranstaltung in der Sporthalle Heinrich-Mann-Allee. In Kleinmachnow stellte Stadtarchitekt Werner Berg anhand von Plänen und einem Modell die Planungen der Stadt vor. Diese Pläne und das Modell sahen einen Abriss der Garnisonkirche vor. Auch Werner Berg sprach sich in seinem Vortrag für den Abriss der Garnisonkirche aus. Daher hatte Walter Ulbricht keinen Grund, einen Abriss der Garnisonkirche zu fordern. Diese Fakten machen deutlich: Am 22.6.1967 war der Abriss der Garnisonkirche längst beschlossene Sache. Daher hat Ulbricht den Abriss der Garnisonkirche zwar gebilligt, aber er hat ihn nicht angeordnet.